Seit mittlerweile zwei Jahrzehnte ist Banksy einer der verlässlichsten Saboteure der Kunstwelt. Von seinen subversiven Aktionen berichten Medien weltweit, was sich nicht zuletzt auch im Verkaufswert seiner Werke niederschlägt. Er selbst schuf durch konsequente Abwesenheit einen Mythos rund um seine Person. 2009 stellte er in seiner Heimatstadt Bristol aus – Massen strömten in die englische Kleinstadt, um bei dem Happening dabeizusein
Das Bristol City Museum ist eine Mischung aus natur- und kunsthistorischem Museum, das auf drei Etagen seine Exponate präsentiert. Im Erdgeschoss kann man, wie es auf der offiziellen Homepage heißt, Ägypten besuchen und eine Sammlung britischer Vögel und Säugetiere bestaunen. In einem Frischwasseraquarium schwimmen heimische Fische. Es gibt ein Café und einen Museumsshop. Im zweiten Stock wird man von einem „furchterregenden“ Seedrachen begrüßt und hat die Möglichkeit in einer Kartenausstellung das historische Bristol zu erkunden. Vorbei an der Sammlung „magischer“ Mineralien und „fantastischer“ Fossilien, finden sich noch mehr präparierte Tiere aus den verschiedensten Gegenden der Welt, Dinosaurier und der allseits beliebten “Zigeunerwagen”.
In der obersten Etage betritt der Besucher und die Besucherin schließlich das Reich der Künste und kann neben einer Kollektion britischer Malerei auch mittelalterliche Meister, Maler der französischen Schule und Werke der Moderne bestaunen. 2009 sollte sich das etwas verstaubte Image des Museum schlagartig zum positiven wenden, als es plötzlich hieß, dass der Popstar der Kunstwelt Banksy das Bristol City Museum über die Sommermonate hinweg die Institution quasi kapert und die Sammlung mit seinen Arbeiten auffrischt. Nach Eröffnung setzte ein noch nie da gewesener Besucheransturm auf die ansonsten gemütlich wirkende Hafenstadt ein. Die Leute kamen von überall her, um die seltene Gelegenheit zu nutzen, eine umfangreiche Werkschau des Street-Art-Künstlers im Original und an einem Ort gesammelt zu besichtigen. Auffallend war die Heterogenität der Menge. Von jung bis alt, von ausgeflippt bis spießbürgerlich, alle warteten meist mehrere Stunden darauf, in jene Ausstellung zu gelangen, die Banksy, wie er über die Direktorin des Museums, Kate Brindley, ausrichten ließ, als Geschenk an die Einwohner Bristols sah, denen er etwas zurückgeben wollte, weil er sich selbst von seiner Heimatstadt stets gut behandelt fühlte.
Seine Arbeiten im öffentlichen Raum stießen seit Beginn seiner steilen Karriere etwa zehn Jahren zuvor auf eine breite Akzeptanz der Bevölkerung. Obwohl die Schablonen-Graffitis teilweise stark in das traditionelle Stadtbild eingriffen, wurden sie optisch als derart ansprechend wahrgenommen, dass es in Bristol 2006 zu einer offiziellen Abstimmung kam, in der sich 93 Prozent für den Verbleib eines seiner Werke (Abb. 1), das sich in der Park Street an prominenter Stelle befindet, entschieden. Natürlich geschah dies bereits zu einer Zeit, als Banksy längst international den Durchbruch geschafft hatte und dessen Erfolg mit Verzögerung, still und heimlich in das Akzeptanzspektrum der breiten Masse eindrang. Im November 2006 blamierte sich die Londoner Stadtregierung etwa, als sie auf üblichem Amtsweg beschloss, kurz vor der Eröffnung des Gillett-Squares in Hackney, den Ort von unliebsamen Graffitis zu befreien. Dem Reinigungstrupp fielen nämlich auch zwei Banksy- Graffitis zum Opfer. Zur selben Zeit erzielte eine seiner Arbeiten bei Sotheby’s über 100.000 britische Pfund.
Trat er bis jetzt mit den großen Häusern wie der Tate Britain in London oder dem Museum of Modern Art in New York nur in radikaler Guerilla-Manier in Kontakt, indem er sich frei nach dem Motto „Its easier to get forgiveness than permission“ erlaubte, seine Gemälde eigenhändig und inkognito zwischen den großen Meisterwerken zu hängen, begab sich der Abtrünnige der Kunstwelt nun zum ersten Mal von offizieller Seite autorisiert auf das institutionelle Bankett eines tradierten Museums. Er meinte dazu: “This is the first show I’ve ever done where taxpayers’ money is being used to hang my pictures up rather than scrape them off“.
10 Monate an Vorbereitung dauerte es angeblich, in denen die Durchführung der Ausstellung von einem sehr engen Kreis an involvierten Personen geplant wurde. Der Künstler selbst, der sich darum bemüht, seine mysteriöse Identität wegen zahlreicher illegaler Spray-Aktionen vorangegangener Jahre geheim zu halten, kommunizierte über Agenten mit den offiziellen Verantwortlichen. Dem Personal wurde wenige Tage vor der Eröffnung, am 15. Juni 2009 frei gegeben, damit das Team rund um Banksy in den Museumsräumlichkeiten frei walten konnte. Draußen auf der Straße gab es nur wenige Hinweise darauf, was den Besucher und die Besucherin hinter den Mauern des um 1900 errichteten Gebäudes schließlich erwarten würde. Eine Menschenschlange von beachtlicher Länge, die sich von den Toren des Museums weg, über mehrere Straßen und Kreuzungen, hunderte Meter durch die Altstadt zog, ließ darauf schließen, dass es sich, was auch immer im Museum zu sehen war, um etwas Wichtiges handeln musste. Mehrere weiße Banner mit Banksy-Signatur und plakativ pinkem Farbklecks kündigten die Ausstellung an (Abb. 3).
Über Clowns
Wenn man an der Fassade des Gebäude hochblickte, war die lebensgroße Figur eines McDonalds-Clowns (Abb. 3 und 4) auszumachen, der in vorgebeugter Haltung am Gesims im ersten Stock saß und melancholisch den Kopf hängen ließ. Bei ihm, eine Flasche Schnaps und der Wille, mit dem Leben abzuschließen. Es handelte sich um eine von Banksy nach der Eröffnung angebrachte Arbeit, die sich genau am Übergang zwischen seinem natürlichen Wirkungsbereich, der Straße und der von ihm ansonsten angefeindeten Institution, dem Museum, befindet.
Die seelischen Untiefen, die jemandem zum Äußersten, bis hin zum Selbstmord treiben, um den Qualen des irdischen Daseins ein Ende zu bereiten, rühren von einer charakterlichen Sensibilität, die vielen KünstlerInnen und Künstlern zugeschrieben wird und mitunter sogar als Voraussetzung für kreative Schaffensprozesse gilt. Die Tiefgründigkeit, die mit dem Grübeln über den Lebenssinn einhergeht, ist eine ernste, komische oder ironische, aber niemals fröhliche Angelegenheit. Im Gegensatz zu bildenden Künstlern und Künstlerinnen, die diese Ernsthaftigkeit auch in ihren Werken ausdrücken, befindet sich der Clown in einer seelischen Zwickmühle, weil er die Leute zum Lachen bringen will und ob seiner Berufung auch muss, gleichzeitig aber mit seiner selbst und den Lasten der Welt so hadert, dass er diese innere Qual niemals vollständig zu verbergen vermag.
Als Symbol dieser Schizophrenie des lachenden und gleichzeitig auch weinenden Auges gilt der Harlekin, der, obwohl er die Menschen fröhlich stimmen möchte, in Abbildungen als traurige Gestalt anzutreffen ist. Die Maskerade der guten Laune, die eine darunter liegende konträre Psyche verdeckt, birgt ein Faszinosum in sich, das des Menschen ureigene Empfindungen anspricht. Auch Kinder, für die die rotnasige Figur erheiternd wirken soll, stehen dem Clownesquen mit einem Gefühlsgemisch aus Unbehagen und gleichzeitigem Interesse am Geheimnisvollen gegenüber. Spätestens seit Steven Kings Gestalt des Pennywise im Horrorroman „Es“ aus dem Jahr 1986 wurde die Ambivalenz soweit gesteigert, dass der Clown nicht mehr nur als Komödiant von trauriger Gestalt inszeniert wird, sondern dass sich hinter der Schminke vielmehr der Albtraum aller Kinder, das von Grund auf Böse, verbirgt.
Alen Moores und Dave Gibbons amerikanischer Kultcomic „Watchmen“, der 2009 auch in einer aufwendigen Produktion unter der Regie von Zack Snyder verfilmt wurde, ist eine Geschichte von charakterlich stark differenziert angelegten amerikanischen Antihelden, die in einer fiktiven Welt der 1980er leben. Ihre brutalen, von Selbstjustiz gezeichneten Methoden der Verbrechensbekämpfung treffen in der Öffentlichkeit mehr auf Empörung als auf Zuspruch.
Einer der Schlüsselcharaktere ist „The Comedian“, ein Macho, der keine Zukunft für ein friedliches, gesittetes Zusammenleben der Menschheit sieht. Seine resignierende Haltung manifestiert sich in moralisch verwerflichem Handeln, bis hin zur schieren Brutalität und einem kompromisslosen Zynismus, der seinem Gesicht ein permanentes Grinsen abverlangt. Seine Ermordung ist der Beginn der Erzählung. Erzählt wird sie von „Rorschach“, einer weiteren Figur der verbotenen Heldenriege, die mit detektivischer Herangehensweise versucht, die Hintergründe des Verbrechens aufzurollen. Seine Geschichte schreibt er in einem Tagebuch nieder, in dem er an einer Stelle in Bezug auf den Komödianten anmerkt:
“Heard joke once: Man goes to doctor. Says he’s depressed. Says life seems harsh and cruel. Says he feels all alone in a threatening world where what lies ahead is vague and uncertain. Doctor says: ‘Treatment is simple. Great clown Pagliacci is in town tonight. Go and see him. That should pick you up.’ Man bursts into tears. Says: ‘But Doctor… I am Pagliacci.’ Good joke. Everybody laugh. Roll on snare drum. Curtains. Fade to black.“
Banksys rot-gelb gekleideter McDonalds-Clown leidet offensichtlich auch an jener Schwermut, die dem Komödianten in der Brust sitzt. Als Markenzeichen eines amerikanischen Weltkonzerns kann, in Anbetracht der aktuellen Wirtschaftskrise, seine depressive Haltung auch mit den vorherrschenden ökonomischen Verhältnissen in Verbindung gebracht werden. Seit November 2008 machten die Bankeliten nämlich keinen Hehl mehr daraus, wie es um die westliche Wirtschaft bestellt ist. Die von jahrelang praktizierter Finanzkosmetik dick aufgetragene Schicht an Zahlenschminke begann zu bröckeln und legte die nicht mehr zu verheimlichende Realität eines desolaten, von Falten und Narben übersäten Systems frei, das zu lang eine schöne Welt vorgegaukelt hatte, die es so niemals gab.
American Way of Life
Das enge Nebeneinander von Freude und Leid wird auch in einer anderen Arbeit Banksys auf Leinwand ersichtlich, die zwei Symbolfiguren des American Way of Life zeigt (Abb. 5):
Auf der linken Seite ein Mickey-Maus-Maskottchen, so wie es im Disneyland anzutreffen ist. Auf der anderen Seite wieder der McDonalds-Clown. Beide mit dem gewohnt fröhlichen Auftreten, mit dem sie auch alle anderen anstecken möchten. Was in diesem Bild aber falsch läuft, ist die Tatsache, dass sie zwischen ihnen ein halb verhungertes afrikanisches Mädchen an den Händen halten. Die symbolträchtige Aussage kann klarer nicht sein. Der Wohlstand und die Freuden der westlichen Welt sind nur eine Seite der Medaille. Der bevorteilte Lebensstil ist in unserer globalisierten Welt nur zu Lasten der Bevölkerung wirtschaftlich unterentwickelter Länder aufrecht zu erhalten.
Von der glücklichen Erscheinung des Clowns ist bei der Figur am Gesims des Museums nichts mehr zu merken. Die Skulptur offenbart in ihrer Traurigkeit die Diskrepanz zwischen Kunst und Werbung, die wohl, auch wenn die Grenzen zwischen den beiden Bereichen fließend sind, niemals verschwinden kann. Hanno Rauterberg legt dies in seinem Buch „Und das ist Kunst?“ treffend offen: „Werbung, so raffiniert und klug und sensibel sie auch auftreten mag, kann immer nur Frohsinn verheißen, Schönheit, Reichtum, Befriedigung. Sie kann keine Tragödie sein, keine Apokalypse, kann den Betrachter nicht in die Dunkelheit führen und ihn dort belassen. Sie kann nichts von dem, was den Großteil guter Kunst ausmacht: kann die Welt nicht in Zweifel ziehen, kann nicht misstrauisch sein, misanthropisch, wütend. Sie muss einen Ausweg aufzeigen, denn der Ausweg ist das Produkt.“
Die ökonomische Zweckgebundenheit der Werbung steht somit in Widerspruch zur Zweckfreiheit neuerer und neuester Kunst. Künstlerischen Strömungen wie die Pop-Art oder Werbekampagnen wie jene vom Modelabel Benetton in den 1990er-Jahren bewegten sich bewusst in der Schnittmenge beider Systeme, sodass eine strikte Abgrenzung nicht mehr möglich ist. Diese Erkenntnis ist gerade im Zusammenhang mit der meist plakativen Ästhetik von Street-Art-Arbeiten interessant. Formal erinnern besonders die Schablonen-Graffitis stark an das Grafikdesign von Werbeplakaten oder politischer Propaganda, was unter anderem auch daher rührt, dass viele der Akteure und Akteurinnen, die sich künstlerisch auf der Straße mitteilen wollen, ausgebildete Grafikerinnen und Grafiker sind und allein schon aus beruflichen Gründen der Werbebranche sehr nahe stehen. Meistens verwenden sie die gleichen Grafikdesign-Programme wie in der Werbung und halten sich auch an ähnliche gestalterische Grundsätze. (Vgl. Julia Reinecke. Street Art. Eine Subkultur zwischen Kunst und Kommerz. Bielefeld 2007)
Gemeinsamkeiten zur Pop-Art bestehen auch dahingehend, dass auch die Künstler und Künstlerinnen der Street-Art mit ihren vervielfältigten Postern, Schablonen, usw. oftmals Kritik an Massenmedien und Werbung üben. So gilt es auch zu unterscheiden, von welcher Sorte die angebrachten Arbeiten sind. Manche Werke beschränken sich rein auf die grafischen Qualitäten und sind somit als ästhetische Abweichungen des herkömmlichen Stadtbilds zu verstehen. In diesem Fall liegt der Verdacht nahe, dass es sich nicht um Kunst handelt, sondern schlicht um Design. Viele Werke definieren sich allerdings über bloße Formalismen hinaus durch eine inhaltliche Aussage, die oft witzig, ironisch und meist auch kritisch ist. Der Reiz liegt gerade darin, wenn die grafische Oberfläche der Werbung und des Designs mit der inhaltlichen Ebene in ein Spannungsverhältnis tritt. Diese Diskrepanz zwischen Bild und Inhalt ist bei Banksys Installation am Gesims des Bristol City Museums ersichtlich, wenn er im Sinne Hanno Rautebergs den McDonald’s-Clown von einer Werbefigur zu einem Kunstwerk transformierte.
Der ursprüngliche Text entstand im Zuge eines wissenschaftlichen Aufenthalts in Bristol, England 2009/2010 und wurde für die Online-Publikation überarbeitet
Bibliografie:
Banksy. Wall and Piece. London 2006
Hanno Rauteberg. Und das ist Kusnt ?! – Eine Qualitätsprüfung. Frankfurt/Main 2007
Julia Reinecke. Street Art. Eine Subkultur zwischen Kunst und Kommerz. Bielefeld 2007