Mosaike auf Hauswänden sozialer Wohnbauten fristen eher ein stilles Dasein und werden meist übersehen. Dabei waren sie einst Teil eines großen Förderprogramms, die Künstler:innen der Nachkriegszeit ihre Existenz sicherte. Hans Robert Pippal war einer von ihnen. Mit seinen Arbeiten wirkte er am ideellen Wiederaufbau der Republik mit
Als Brian O’Doherty seinen kunsttheoretischen Essay „Inside the White Cube“[1] Mitte der 1970er-Jahre verfasste, sah er „das Gemenge aus Geschichte, Gerücht und Fakt, das wir die Tradition der Moderne nennen“[2] bereits von einem Horizont eingefasst. Aus dem Gewirr widersprüchlicher Errungenschaften, verortete er in deren Mitte eine „gleichmäßig erleuchtete Zelle, die entscheidend dazu beiträgt, dass das Ganze funktioniert: den Galerie-Raum.“[3] Schattenlos, weiß, steril und künstlich verschreibt sich dieser Raum ganz der Technologie des Ästhetischen. Die Objekte präsentieren sich in einer von Zeit und Ort befreiten Blase. Alles was sich außerhalb befindet wird systematisch abgeschirmt. Heute gilt dieses Szenario der Kunstpräsentation als Norm und macht es für den Betrachter schwer, sich vorzustellen, dass es anders sein könnte. Was ist die Funktion dieser hermetischen Hülle und wie kam es dazu? Diesen Fragen versucht O’Doherty in seiner inspirierten Analyse nachzugehen.
Im 19. Jahrhundert galt nämlich noch der klassische „Salon“ als Inbegriff einer Galerie. (Abb. 1) Dicht gedrängt wurden so viele Bilder nebeneinander gehängt, wie es der Platz erlaubte. Die darunter liegende Wand war auf diese Weise fast zur Gänze verdeckt und deren Existenz wurde somit negiert. Die Gemälde funktionierten als geschlossene Einheiten. Nach innen herrschten die Gesetze der Perspektive, nach außen definierte ein schwerer Rahmen das Objekt in seiner Gesamtheit. Die Entwicklung hin zur „Weißen Zelle“ entsprang aus Bildern, die aufgrund ihrer atmosphärischen Anlage ein oppositionelles Verhältnis zwischen Tonwert und Perspektive erzeugten. „Es tauchen Bilder auf, die Druck auf den Rahmen ausüben.“[4] (Abb. 2) Bilder wurden flächiger und begannen sich auf die Seite hin auszuweiten. Diese Ausdehnung erforderte ein Umdenken in der Präsentation. Zu eng nebeneinander gehängte Gemälde schienen sich plötzlich wie zwei gleich gepolte Magnete abzustoßen. Eine losere, weitläufigere Hängung sollte ab nun jedem Gemälde den Platz einräumen, den es benötigt. Als Folge dieser Entwicklung kam die bis vor kurzem negierte Wand zum Vorschein und wurde zur ästhetischen Kraft. Mit dem Aufbrechen bildlicher Schranken veränderte sich auch die Rolle des Betrachters, der durch seinen Standpunkt und seinen Blick zu einem aktiven Element in der Kunstwahrnehmung avancierte. Bilder sollten nicht mehr als Fenster zu einer eigenen visuellen Realität verstanden werden, sondern als Objekte im Raum des Betrachters. Im frühen 20. Jahrhundert machte sich die Avantgarde daran, diese Tendenz bis an ihre Grenzen auszuloten. Aus diesem Diskurs heraus kristallisierten sich zwei unterschiedliche Strömungen. Die erste versuchte auf formalem Weg, stets der bildenden Kunst verhaftet, die visuelle Ausweitung des Gemäldes voranzutreiben. Monet, Cézanne, Picasso, Matisse sind nur vier der vielen großen Namen, die sich dieser Aufgabe auf eindrückliche Art und Weise stellten. Die andere Avantgarde entsprang dem literarisch-anarchischen Geist des Dadaismus und sah anstelle der Form den Inhalt als ein potenzielles Instrument, dem Phänomen des Galerie-Raums habhaft zu werden. Die Kunst des Denkens stand über der Form. Marcel Duchamp kann als Protagonist dieser Strömung angesehen werden. Gerade seine Ideen erwiesen sich als besonders Einflussreich für spätere Kunstpraktiken, die sich erst nach der Zeit der klassische Moderne auf breiter Basis etablierten.
Was die Malerei betrifft, so stand Hans Robert Pippal ohne Zweifel in der Tradition der Formalisten. Kurz vor seiner Geburt, also in der Zeit vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs ergab sich, so wie es Dieter Daniels in einem Buch über Duchamp beschreibt, eine rasante Dynamik an Entwicklungen, aus der in wenigen Jahren mit der Abstraktion, dem Kubismus, dem Konstruktivismus, dem Expressionismus und dem Futurismus die wichtigsten Grundlagen der Malerei des 20. Jahrhunderts hervorgingen. „In der schnellen Abfolge der Ereignisse durchläuft die Kunstgeschichte eine der dichtesten Phasen dieses Jahrhunderts, und es scheint oft eher angebracht, in Wochen oder Monaten zu rechnen statt in Jahren.“[5] Die Zeit der „Ismen“ war angebrochen und jede künstlerische Gruppierung versuchte ihre Ansichten mit radikalem Nachdruck durchzusetzen. Paris galt als kulturelles Zentrum.
In Österreich griffen die Ideen der Moderne mit Zeitverzögerung respektive tickten die Uhren überhaupt etwas anders als im revolutionären Frankreich. Gustav Klimt, Egon Schiele, Oskar Kokoschka und Alfred Kubin reformierten die Malerei auf ihre Weise. Mit dem Zerfall der Habsburger Monarchie sah sich die blühende „Wiener Moderne“ allerdings mit einer Zäsur konfrontiert, die die österreichische Kunstwelt nur sehr schwer überstand.[6] Im gleichen Jahr als der Erste Weltkrieg zu Ende ging, starben Gustav Klimt und Egon Schiele, was einer „Enthauptung“ der modernen Kunst in Österreich entsprach.[7] Künstler aus der Provinz übernahmen ab nun das Ruder. Auf den „extrem sensiblen, fragilen und selbstbezogenen Stil“[8] der oben genannten Protagonisten aus Wien etablierten Herbert Boeckl, Anton Faistauer, Andreas Kolig und Max Wiegele einen „farbkräftigen und erdschweren Malstil“[9].
Als junger Maler rezipierte Hans Robert Pippal das neue expressionistische Formenrepertoire (insbesondere jenes von Anton Faistauer) und bewunderte wie seine österreichischen Vorbilder vor allem Cézanne.[10] Er war Autodidakt und eignete sich die Techniken der Malerei an, indem er das abbildete, was ihn umgab. In den Veduten der Wiener Vorstadt dokumentiert er seine guten emotionalen Erfahrungen, die er mit der damals noch existierenden „Grätzelgemeinschaft“ verband.[11] Nicht beschönigend sentimental, aber mit einer Ausstrahlung von Ruhe beschreibt er aus einer persönlichen und trotz der schwierigen Zeiten, positiven Erinnerung heraus die Menschen und ihre Umwelt in der sie lebten. In seiner Jugend sei er dem Impressionismus begegnet, so wie er später dem Modernismus begegnete, meinte Albert Paris Gütersloh im Jahr 1954 anlässlich einer Ausstellungseröffnung in der Wiener Sezession.[12] Hans Robert Pippal habe die Einflüsse niemals mit dem Verstand angestrebt. Vielmehr fielen ihm die Stile und Modi als logische Konsequenz seines Schaffens eher auf unbewusste Weise zu. Entgegen radikaler avantgardistischer Ansätze bevorzugte er formal und inhaltlich einen, seinem Charakter entsprechend, gemäßigten Stil. Gütersloh schätze sich glücklich, dass er einem „Naturtalent“ gegenüberstehe, „einem Menschen aus dem Es singt, Es dichtet, Es malt, der weder was dafür noch was dawider kann, dass er ein Künstler ist […]“[13] Radikale Systeme sterben eines Tages. Eine nicht auf Regeln abziehende Orthodoxie bringe diese Sektenbildungen, wie es etwa beim Kubismus der Fall gewesen sei, auf eine geheimnisvolle Weise zu lautlosem Zerfall. Die Stärken Hans Robert Pippals liegen demnach in seiner von Dogmatismen befreiten Herangehensweise an künstlerische Problemstellungen. Auf politischem Banquette hätte er wohl einen hervorragenden Diplomaten abgegeben. Als Künstler erschien er gerade für die Aufträge aus öffentlicher Hand aus den gleichen Gründen als besonders geeignet.
Der öffentliche Raum
Der folgende Text nähert sich über Umwege jenen Arbeiten an, die Hans Robert Pippal für den öffentlichen Raum konzipierte. Außerhalb der von O’Doherty beschriebenen „Weißen Zelle“ gelten die Mosaike an den Wänden der Wiener Gemeindebauten als Problemfeld. (Abb. 3 Beispiel f. Kunst-am-Bau, noch auszuwählen à „Titelbild“) Gerade für Künstler und Künstlerinnen ist es schwierig dem Phänomen habhaft zu werden. Wie soll man mit den Arbeiten umgehen? Eine allzu oberflächliche Herangehensweise verleitet dazu, die sogenannte Kunst-am-Bau mit dem gleichen Bewertungsinstumentarium zu beurteilen wie es auch für die Kunst in Museen und Galerien eingesetzt wird. Schnell ist der Schluss gezogen, dass die Werke keinerlei künstlerischen Wert besitzen und somit weitere Betrachtungen Zeitverschwendung sind. Der Künstler Gerwald Rockenschraub meinte etwa, dass das meiste was in diesem Sektor gemacht werde visuelle Umweltverschmutzung sei, die irgendwann Entsorgungsprobleme machen werde.[14] Peter Weibel schlug in die gleiche Kerbe, als er behauptete: „Kunst am Bau erregt meinen Ekel. Kritisch gesprochen ist das Zusammenspiel von Kunst und Architektur eine Lüge. Die Ornamentik, die da draufgeklatscht wird, ein Verbrechen.“[15]Gerade Peter Weibel, der sich hier in der Tradition von Adolf Loos zu verorten scheint, kann nicht der Mangel an Reflexionsvermögen nachgesagt werden. Dennoch sollte man nicht vergessen, dass er aus der Warte eines zeitgenössischen Künstlers und Kurators urteilt. Von der Kunstkritik oft gescholten, bleibt das Feld der Kunst-am-Bau meist den Soziologen und Historikern überlassen, die in den Bildern an den Hauswänden immerhin die Wichtigkeit in ihrer Funktion als Zeitdokumente erkennen.
Kunst-am-Bau ist heute wie damals ein komplexes Feld, auf dem die Ansprüche und Befindlichkeiten verschiedenster Interessensgruppen aufeinandertreffen. Der ehemalige Stadtrat für Kultur in Wien, Peter Marboe, erklärte dazu: „Was Kunst am Bau nicht sein soll: Behübschung mediokrer Architektur nach gesetzlich festgelegten Promille-Sätzen der Bausumme; Beschäftigungstherapie für Künstler; Ruhekissen für Politiker. Kunst am Bau ist zunächst und primär gute Architektur. Diese wirkt und steht für sich. Sie kann aber die Voraussetzung für eine weiterführende künstlerische Ausgestaltung, für einen Dialog von Architektur und Kunst bieten.“[16]
Wie oft künstlerische Arbeiten im Zuge des städtischen Gemeindebaus diesen Ansprüchen nicht genügen beweist das Unverständnis einer Krankenpflegerin, die eines der mit Kunst verschönerten Bauwerke bewohnt: „Wie komme ich als Hausbewohnerin dazu, 70 Groschen monatlich mehr für die Miete zu bezahlen, nur um die Kunst hier im Haus abzubezahlen? Die gefällt mir nicht, und die will ich auch nicht täglich sehen.“[17]
Aus der Sicht eines Kunsthistorikers sollte, um kein vorschnelles Urteil zu fällen, zunächst nicht außer Acht gelassen werden, dass es sich beim öffentlichen Raum nicht wie bei einer Galerie oder einem Museum um eine, von der Lebenspraxis abgeschottete Enklave handelt, sondern um einen Bereich, der direkt in das Stadtbild, sprich den Wohnraum der Bevölkerung eingreift. Eine für den Galerieraum konzipierte Kunst würde außerhalb dieser Mauern nicht in gleicher Weise funktionieren. Drei Anekdoten sollen im Folgenden die Sensibilität des öffentlichen Raumes vor Augen führen:
1. Turkish Delight
2007 wurde der deutsche Künstler Olaf Metzel beauftragt, den „public space“ der Kunsthalle am Wiener Karlsplatz mit einem Werk auszustatten. Die von ihm geschaffene Bronzeskulptur erlangte nicht so sehr durch ihre künstlerische Machart große Bekanntheit, sondern vielmehr durch die Reaktionen der Öffentlichkeit. Dargestellt war eine nackte Frau, die als einziges Kleidungsstück ein Kopftuch trug (Abb. 4). Der Pressetext dazu lautete: „Das Werk siedelt sich an der Schnittstelle von Orient und Okzident an, es schließt Debatten zum kommerziellen Gebrauch des Körpers der Frau in der westlichen Mediengesellschaft genauso ein wie die Kritik an der fundamentalistischen islamischen Praxis, die Frau hinter Schleiern zu verstecken oder überhaupt aus dem öffentlichen Leben zu verbannen.“[18] Metzel versah das Werk mit dem ironischen Titel „Turkish Delight“. Bald nach der Aufstellung wurde die Frauenskulptur binnen kürzester Zeit Opfer zweier Attacken.[19] Vertreter der muslimischen Glaubensgemeinschaft fühlten sich in ihrer Ehre beleidigt und fanden im Vandalismus den einzig angemessenen Weg ihrem Protest Ausdruck zu verleihen. Beweist dieses Ereignis einerseits das angespannte und äußerst sensible Verhältnis zwischen dem östlichen und dem westlichen Kulturkreis, so offenbart sich aus kunsttheoretischer Sicht das Potential des öffentlichen Raumes. Wäre die Skulptur nämlich in einem Museum aufgestellt worden, hätte dies niemals so gravierende Reaktionen hervorgerufen. Ungeschützt von institutionellen Grenzen wirkt das Kunstwerk direkt in das alltägliche Leben hinein und ist der Rezeption einer breiten Öffentlichkeit, bestehend aus allen Bildungsschichten, schlichtweg ausgeliefert.
2. Der Sprayer von Zürich
Etwa zur gleichen Zeit als „Inside the White Cube“ entstand beschäftigte sich der Theoretiker Jean Baudrillard mit einer Woge von Graffitis, die über New York hinwegrollte. Von den Wänden und Zäunen herkommend bemächtigten sie sich zuletzt auch der U-Bahnen, Busse, Lastwägen, Aufzüge, Flure und Monumente – sprich: aller Bereiche des öffentlichen Lebens.[20] Es dauerte nicht lange, bis dieser Trend, dieser „Aufstand der Zeichen“, wie Baudrillard es betitelte, auch nach Europa überschwappte. Neben den kunstvoll ausgeführten Namenszügen tauchten in Zürich ab 1977 gesprayte Zeichen auf, die neben ihrer Ästhetik auch eine Botschaft zu transportieren schienen (Abb. 5). Die Formensprache war minimalistisch, primitiv und besaß einen hohen Wiedererkennungswert. Die Zeichnungen bewegter Figuren waren mit Spraydose ausgeführt und lebten wie Kunstobjekte im „White Cube“ von der Wand als Bildgrund. Anstatt der weißen Wände des Galerie-Raumes reagierten die Graffitis allerdings gezielt auf das urbane Umfeld und traten mit diesem in Interaktion. Der gestische Akt der Ausführung manifestierte sich in den großzügig geschwungenen Linien, die auf die körperliche Bewegungen des Künstlers verwiesen. Hinter diesen Zeichen stand Harald Naegeli, der für zwei Jahre nur als „Sprayer von Zürich“ bekannt war und mit seinem Wirken eine Welle des Protestes ins Rollen brachte. Unzählige Anzeigen gegen den Unbekannten wegen Sachbeschädigung gingen bei der Polizei der Stadt ein. Erboste Bürger setzten sogar eine „Kopfprämie“ von 3000 Franken für denjenigen aus, der den Täter stellt.[21] Die Stadtregierung, die noch nie mit einem Problem dieser Art konfrontiert war, ließ sich ein Gutachten ausstellen, das entgegen der aufgebrachten Bevölkerung Behutsamkeit und Nachsicht in der Behandlung des Falles empfahl: „Festzuhalten ist hier, dass eine zweifellos künstlerisch begabte Persönlichkeit am Werk war […] Eine Bestrafung des Sprayers käme indirekt einer Art Bestrafung jener gleich, die aus Liebe zu Zürich gerne mehr humane Züge in dieser Stadt sähen, aus Scheu, Unvermögen, Trägheit oder Phantasielosigkeit dazu aber selbst keinen Beitrag leisten (können).“[22]
Das Gutachten erkannte somit auch die Ursachen dieser Zeichen im fragwürdigen Städtebau, der sich in vielen fällen als kühl und inhuman präsentierte. Michael Müller unterstrich diese Erkenntnis: „Die lustigen Kobolde und phantasievollen Strichmännchen haben deshalb Aufmerksamkeit erregt, weil sie eindringlich auf die Zubetonierung der inneren und äußeren Lebenswelten hinweisen, aber gleichzeitig auch Mut für die eigene Auflehnung gegen bedrohende Tendenzen zur Zerstörung von Menschlichkeit machen. […] Naegelis Sprayfiguren sind Symbole für den in fast allen hochindustrialisierten Ländern gewachsenen Protest gegen die Organisation der Moderne, die den Menschen den Lebens- und Gestaltungsraum zu nehmen droht.“[23]
3. Ziege
Die letzte Anekdote handelt von Berichten über die in den 1950er-Jahren etablierte „Galerie im Grünen“, die fast alljährlich im Wiener Stadtpark veranstaltet wurde.[24] Es war eine Skulpturenschau zeitgenössischer Künstler, die ob ihres modernistischen Formenrepertoires auf das Unverständnis der Betrachter stießen. Hitzigen Diskussionen folgte die Beschädigung bis hin zu Zerstörung von Kunstwerken.[25] Besondere Bekanntheit erlangte die Kritik um die „Ziege“ von Alois Heidel im Jahr 1958 (Abb. 6). Entgegen der, in der Kunst-am-Bau der Nachkriegsjahre üblichen Darstellungen einer heilen Natur suggerierten die aufgerissene Oberfläche und die verzerrten Proportionen ein leidvolles Dasein. „Die Versehrtheit und die Armseligkeit des Tieres erinnerten an eigene Verletzbarkeit, […]“[26] Zu kurz schienen die schmerzlichen Erinnerungen des vergangenen Kriegs zurückzuliegen, als dass die Menschen an diese schreckliche Zeit erinnert werden wollten. Die Arbeiterzeitung bezog seinerzeit jedoch Stellung für den Künstler: „Wir leben in einer Konjunktur, aber die Ziege soll die Menschen daran erinnern, was damals war und was wieder kommen kann. Die Künstler können sich nicht damit begnügen, für Dekoration zu sorgen. Sie wollen etwas sagen, zum Nachdenken anregen.“[27]
Die drei Anekdoten erzählen wie gesagt von Kunstwerken, die außerhalb des schützenden Bereichs des Museums respektive der Galerie angesiedelt sind. Würde man bei der letzten Geschichte die kontroversen Reaktionen zunächst auf die konservativen Wertvorstellungen einer traumatisierten Nachkriegsgesellschaft zurückführen, so beweist die erste Geschichte, dass auch noch im 21. Jahrhundert der bereich außerhalb der „Weißen Zelle“ eine höchst sensible Zone ist. Im Fall Harald Naegelis kommt noch ein weiterer Aspekt hinzu, indem der Grund seiner illegal angebrachten Werke auch als Akt der Stadtverschönerung interpretiert wurde.
Für die Kunst-am-Bau sind alle drei Aspekte von besonderer Wichtigkeit. Einerseits der Ort, an dem die Arbeiten angebracht wurden, nämlich der öffentliche Raum, andererseits die gesellschaftspolitisch besonderen Umstände in Österreich zu Beginn der Zweiten Republik. Weiters darf auch das architekturhistorische Feld des modernen Städtebaus nicht außer Acht gelassen werden.
Österreich – Ein Staat zwischen Idee und Wirklichkeit
Entgegen Jean Baudrillard, der die Zeichen der Straße als aufkommendes Phänomen seiner Zeit zu deuten versuchte, befinden wir uns in einer Position, die den Blick auf die von Hans Robert Pippal in den 1950er- und 1960er-Jahren gefertigten Werke an den Wiener Wohnbauten lediglich aus historischer Distanz erlaubt. Die Gefahr ist groß, längst vollbrachtes aus dem zeitgenössischen Blickwinkel heraus falsch einzuschätzen. Auf der anderen Seite birgt diese Distanz auch die Chance, über einen erweiterten Horizont hinweg Zusammenhänge zu erkennen, die dem Zeitzeugen vielleicht verborgen blieben.
Die Zeit in der die Mosaike entstanden ist gesäumt von Klischees des heroischen Wiederaufbaus durch „Trümmerfrauen“ und halbverhungerten alten Männern, „[…] behindert von Hunger und Not, von den alliierten Besatzungsmächten, die andererseits immerhin das Überleben ermöglichten.“[28] Nicht zu vergessen der nicht unberechtigte Vorwurf der Verdrängung der jüngst stattgefundene nationalsozialistischen Vergangenheit. Das Gemenge aus Gerüchten, Klischees und historischen Fakten fließt in der Kunst-am-Bau zusammen, denn allein der Umstand, dass die Aufträge zu den Arbeiten aus öffentlicher Hand vergeben wurden, erfüllen die Werke mit politischem Anspruch.
1. April 2000
Wie schlecht es um die wirtschaftliche Situation kurz nach dem Krieg bestellt war, bewies die legendäre Weihnachtsansprache im Jahr 1945 des wenige Tage zuvor gewählten Bundeskanzlers Leopold Figl, der via Radio das Offenkundige aussprach: Österreich habe nichts und er könne das Volk nur darum bitten, an dieses Land zu glauben.[29]In der oftmals als „Stunde Null“ bezeichneten Notzeit galt die Verarmung des kulturellen Lebens als Luxusproblem. Die existenziellen Grundbedürfnisse nach Essen und einem Dach über den Kopf bestimmten das tägliche Leben. Um die Situation der Künstler und Künstlerinnen war es somit äußerst schlecht bestellt. Erst mit dem greifen des Marshall-Plans ab dem Jahr 1948 wurden Investitionen, die auch den Bereich der Kunst betrafen wieder spruchreif. Im Ministerrat vom 5. Oktober 1948 tauchte zum ersten Mal die Überlegung auf, einen „Propagandafilm für Österreich“ zu produzieren und zu finanzieren. Leopold Figl verlautbarte, dass seitens der ECA (European Corporation Administration) ein Film dieser Art geplant sei.[30] Es wäre allerdings im allgemeinen Interesse, wenn anstatt einer amerikanischen Produktion, Österreich den Film selbst verwirklichen würde. Der Vorschlag wurde vom Ministerkomitee mit folgender Aufgabenstellung genehmigt: Man beabsichtige „[…] einen großen österreichischen Propagandafilm herzustellen, der insbesonders für die Vorführung im Auslande bestimmt ist und in dem Österreichs landschaftliche Schönheiten, Kulturdenkmäler, geistige, wissenschaftliche und künstlerische Leistungen, Wirtschaft, Sport, Technik, Verkehrseinrichtungen, Volkssitten und Volksbräuche, Ergebnisse des Wiederaufbaues etc. gezeigt werden sollen.“[31]Österreich solle der Hauptakteur sein. Der Film solle informieren und für das Land werben. „Im Interesse der internationalen Verbreitung des Films soll das gesprochene Wort eher zurücktreten und dafür anderen stimmungsfördernden Mitteln ein breiter Raum gewährt werden.“[32] Der Schriftsteller Rudolf Brunngraber und Ernst Marboe, seinerzeit Vertreter des Pressebüros des Bundeskanzleramtes, entwickelten ein Drehbuch, das den oben erwähnten Auflagen gerecht werden sollte. Erscheinen die Vorgaben in ihrer Intention als eher trivial, so glänzte die Umsetzung vor allem durch ihre Skurrilität und erlaubt einen aufschlussreichen Einblick in die politischen Befindlichkeiten Österreichs zu Beginn der 1950er-Jahre. Gernot Heiss bezeichnet das Szenario in dem sich der Film zuträgt als ein „Bild von Gegenwart und Vergangenheit im Zukunftsraum von 1952“[33]. Der von der Regierung in Auftrag gegebene „Millionenfilm“ entführt den Zuseher in eine Utopische Gedankenblase, die in der damals fernen Zukunft angesiedelt ist; eine Zukunft die heute auch schon wieder zur Vergangenheit gehört. Österreich ist an jenem herbeigesonnenen 1. April 2000 (so lautet auch der Filmtitel) noch immer besetztes Gebiet. Zu Beginn steht ein Gipfeltreffen vor der prachtvollen Kulisse des Schosses Schönbrunn. Niemand geringerer als die Welt in Union ist gekommen, um über die Freiheit des kleinen Alpenlandes und dessen Bewohner zu richten. Der kürzlich gewählte charismatische Präsident des bevormundeten Kleinstaats (gespielt von Josef Meinrad) möchte unbedingt den lang ersehnten Staatsvertrag erwirken, denn er weiß die Bevölkerung als stützende Kraft hinter ihm. Die vier Besatzungsmächte USA, England, Frankreich und die Sowjetunion mögen nach über einem halben Jahrhundert dem Land nun endlich den Rücken kehren und Österreich als souveränen Staat in die Freiheit entlassen. Was war geschehen? Wir wissen es nicht, werden es in diesem Film auch nicht erfahren, weil sich die Jury, der auch namhafte Filmemacher wie Karl Hartl, Willy Forst und G. W. Papst angehörten, in einer gemeinsamen Sitzung „[…] gegen die Aufnahme von Motiven wie Krieg, Bomben, Heimkehrerproblemen, Kriegsgefangenschaft und Nachkriegsatmosphäre […]“ aussprachen.[34]
Bilder lassen immer Raum für Interpretationen und diesmal ist Österreich am Wort, um seine Sicht der Dinge darzulegen. Das Land wird der Aggression und des Weltfriedensbruchs bezichtigt. Es sei ein rückfälliger Gewohnheitsverbrecher und solle deshalb von der Landkarte verschwinden. Auf Gefühlsduselei könne laut arabischer Fraktion verzichtet werden. Woraufhin sich der afrikanische Vertreter der Weltunion versöhnlich einbringt, indem er meint, dass man zumindest aufgrund der Musik dem Land mildernde Umstände zusprechen könne. Auch die Italienerin als Abgesandte Europas ist dazu geneigt, Österreich durchaus positive Eigenschaften abzugewinnen. Für all jene, die dem Alkohol und dem geselligen Beisammensein zugetan sind, könne man hier doch einen Ort feucht-fröhlicher Erholung schaffen. Klischees? Keine Frage. Aber welche Wahl hat man in solch misslicher Lage als an dem anzuknüpfen, was andere an einem schätzen. Entgegen der Vorwürfe handelt es sich bei den Bewohnern nämlich um ein friedfertiges Volk, dass den sehnlichen Wunsch hegt, nicht auf beschämende Weise einer politischen Übermacht bis zum Ende aller Tage ausgeliefert zu sein, sondern im neuen Weltgefüge jene Akzeptanz zu erfahren die einem geschichtsträchtigen Land wie Österreich gebührt. Die hochgehaltene Fahne zeigt den Willen zur Einheit und bereitwillig verweist man auf deren weißes Zentrum, das sich sauber wie eh und je präsentiert. Dass diese Mitte vom Blut vergangener Kriege flankiert wird, lässt sich leider nicht abstreiten. Aber damals bei der Schlacht von Akkon – lange ist es her – kämpfte man noch auf der gleichen Seite mit den gleichen Idealen. Nun solle man nicht mehr dazugehören? Wenn heute der Weltfrieden über allem anderen steht, dann besinnt sich Österreich mit Stolz auf seine Vergangenheit, in der Kriege immer der letzte Weg waren um Machtansprüche geltend zu machen. Vielmehr war es das wichtigste aller christlichen Sakramente, die Ehe, die es ermöglichte, der Welt einen weit sichtbaren Stempel aufzudrücken – so weit sichtbar, dass darauf immer die Sonne schien. Und wenn man schon unbedingt von den roten Flanken der Fahne sprechen muss, dann möchte man bitteschön nicht an das Feindesblut denken, sondern lieber an das eigene; an das Gemüt, das durch die Adern eines jeden Österreichers fließt. Ein ausgeprägter Hang zum Frieden, Gemütlichkeit, Gastfreundschaft und die Liebe zur Musik sind nämlich jene Charaktereigenschaften, die sich nun als letzter Strohhalm erweisen, an dem man sich klammert, um in den Fluten politischer Machtspielereien nicht unterzugehen. In diesen unsicheren Zeiten muss sich ein positives Bild in den Köpfen der Bevölkerung innerhalb und außerhalb des Landes etablieren. Die Österreicher sollen sich mit der neuen Republik identifizieren. Jeder Zweifel an der Existenzberechtigung dieses notdürftigen politischen Konstrukts muss verschwinden.
Das Österreich-Buch
Was war nun die Position der Bewohner dieses politischen Fragments im frühen 20. Jahrhundert? Als Vertreter des Pressebüros des Bundeskanzleramtes war Ernst Marboe 1948 auch für die Herausgabe des Österreich-Buchs verantwortlich. Wie der später entstandene Film „1. April 2000“ wurde es aus einer Identitätskrise der jungen Republik heraus publiziert. Im Gegensatz zum Film gewährt das Buch profundere Einblicke in historische Sachverhalte. So erfährt der Leser etwas weiter hinten von früheren Privilegien, die seit dem Zerfall der österreichisch-ungarischen Monarchie am Ende des Ersten Weltkriegs erloschen. „Nicht die Turbulenz des äußeren Ablaufes, nicht Hungersnot und Entbehrung war das Schreckliche jener Tage: dieses lag vielmehr in der alles umstürzenden Schicksalswende des Landes und im Verlust seiner Geltung. Das österreichische Nocturno war angebrochen, die Privilegien eines Jahrtausends erloschen.“[35] Auf wenigen Seiten kamen schlussendlich auch jene kürzlich erfahrenen Schrecken zur Sprache, die im Österreich-Film ausgespart wurden: „Österreichs Weg von der ersten zur zweiten Republik war leidvoll und schwer. Verhängnisvolle Irrtümer und Fehler im Innern sind ihm so wenig erspart geblieben, wie Rückschläge von außen her.“[36] 1938 kam es zur Annexion und Österreich verschwand von der Landkarte. Mit dem Verschwinden brach das Chaos aus; ein großes „Nocturno“ aus unbarmherzigem Töten und seelenlosem Sterben. Wiens bitterste Tage waren gekommen. Es brannte an allen Ecken und Enden und die Welle der Zerstörung machte auch vor den Flagschiffen kultureller und religiöser Identität nicht halt. Zwei Tage dauerte es, bis der prunkvolle Bau der Wiener Staatsoper niederbrannte. Wenige Wochen später fiel der ehrwürdige Dom von St. Stephan dem Artilleriefeuer der im Rückzug begriffenen SS-Armee zum Opfer. Die „zwei Herzen Wiens“ [37] hörten auf zu schlagen. Der Tod, gleich einem Exorzismus, befreite die Stadt vom Joch der nationalsozialistischen Diktatur. Zurück blieb eine geborstene Hülle, der mit dem Einzug der Roten Armee und später den drei weiteren alliierten Mächten neues Leben eingehaucht wurde. Zwar bedeutete die Besatzung ein neues Joch, das dem kriegsgebeutelten Österreich auferlegt wurde, die Vorzeichen waren aber doch gänzlich andere.
Hans Robert Pippal – ein Kind seiner Zeit
Viele Künstler, darunter auch Hans Robert Pippal, konnten nach einer langen Durststrecke ihre Arbeit wieder aufnehmen. Im Jahr 1915 geboren, gehörte er zu einer Generation, die die Schrecken des Zweiten Weltkriegs am eigenen Leib und an eigener Seele bitter zu spüren bekamen. Mit dem Einsetzen des im Österreich-Buch beschriebenen „Nocturnos“ war Pippal wie viele andere Künstler und Künstlerinnen dazu gezwungen, seine Arbeit aufzugeben und sich den Irrwegen politischer Macht unterzuordnen. Im August 1939 kam der Einberufungsbefehl.[38] Widerwillig vom nationalsozialistischen Regime instrumentalisiert, verschlug es ihn als Soldat unter anderem nach Deutschland, Frankreich und Griechenland. Des Malens wurde er trotz der widrigen Umstände nicht müde. In Frankreich etwa, aber auch in den Fronturlauben griff er zu Farbe und Pinsel und ging auch sonst, wann immer er konnte, seiner künstlerischen Berufung nach.[39] 1943 sollte sich als schicksalhaftes Jahr erweisen. Im April beging der Schriftsteller Hans Kühn, einer seiner Mentoren, Selbstmord. Pippal selbst wurde in der Kuban-Niederung so schwer verwundet, dass sein linkes Bein amputiert werden musste. Er ertrug den tragischen Vorfall mit Pragmatik und größtmöglicher Gelassenheit.[40] Als Kriegsinvalide konnte er nach Österreich zurückkehren, wo sich das Schreckensjahr doch noch zum positiven wendete, als er im Dezember Eugenie Kottnig heiratete. Aufgrund der Verwundung gelang es ihm, ein Atelier im Haus der Dominikanerbastei zugewiesen zu bekommen. Das frisch vermählte Paar verwandelte die Räumlichkeiten in ein brauchbares Wohnatelier, in dem sie allerdings nur bis zum Frühjahr 1945 bleiben konnten. Wie der nahe gelegene Stephansdom so fiel beim Einzug der Roten Armee auch das kürzlich bezogene Heim deutschem Artilleriebeschuss zum Opfer. Einen Großteil seiner Arbeiten konnte Hans Robert Pippal kurz zuvor aber in Sicherheit bringen.[41] Nach der Einnahme Wiens durch die Alliierten wurde ihm und seiner Frau eine Wohnung in Hietzing zugewiesen.
Anlässlich einer Ausstellung in der Wiener Galerie Würthle lernte er durch die Vermittlung der Grafikerin Epi Schlüsselberger Ernst Marboe kennen, der ihn und seine Frau, als Mitarbeiter für das Österreich-Buch engagierte.[42] Epi Schlüsselberger war für das Layout verantwortlich. Eugenie Pippal-Kottnig gestaltete die architektonischen Darstellungen sowie die Karten und Pläne. Hans Robert Pippal lieferte neben Elli Rolf die Illustrationen, die dem Leser die landschaftliche Schönheit und den kulturellen Reichtum Österreichs näher bringen sollten. Ernst Marboe sorgte dafür, dass Pippal mit einem Auto in die Bundesländer chauffiert wurde, um vor Ort seine Bilder zu malen. „Das zerbombte Wien wenigstens kurzfristig verlassen zu können, war ein Privileg.“[43]
Beim Österreich-Buch handelte es sich um ein umfassendes Projekt, das in seiner Informationsvielfalt ein breites Themenspektrum abdecken musste. Wie der Herausgeber im Vorwort schreibt, ist das Buch von allem ein wenig.[44]Historisches vermischt sich mit volkstümlicher Tradition. Land, Volk und Tracht werden wie in Prospekten eines Reiseveranstalters präsentiert. Aktuell politischer Zweckoptimismus hinsichtlich des Wunsches nach einer Beendigung der Besatzung verschränkt sich mit der Wehmut über erloschene Privilegien durch den Zerfall des Habsburger Reichs. Alles in Allem ist es ein Plädoyer für Freiheit und Selbstbestimmung von einer gebrochenen Nation auf der Suche nach ihrer Identität im neuen politischen Weltgefüge. Wie der etwas später entstandene Film „1. April 2000“ ist auch das Österreich-Buch als eine von der Regierung geplante Werbung in eigener Sache angelegt. Die Adressaten befanden sich im In- und Ausland. Es wurde in den Sprachen der vier Besatzungsmächte veröffentlicht und außerdem fand es in Österreichs Schulen als Lehrbuch seine Verwendung.[45]
Die enorme Breitenwirksamkeit verhalf Hans Robert Pippal zum künstlerischen Durchbruch.[46] Über die Landesgrenzen hinaus stieß das Buch auch bei den vielen emigrierten Österreichern auf großes Interesse. Pippal war nun all jenen, die das Nachschlagewerk österreichischen Ursprungs in die Finger bekamen ein Begriff.
Kunst-am-Bau – die neue Ära
Als Hans Robert Pippal 1955 den Auftrag erhielt, ein Mosaik für einen neu entstandenen Wiener Gemeindebau in der Neuwaldegger Straße (17. Bez) anzufertigen, konnte er als etablierter Künstler bereits auf wichtige Arbeiten verweisen. Kurz zuvor gestaltete er den Plafond der Pausenzone des zweiten Rangs im Burgtheater.[47] Außerdem wurde er mit dem ehrenvollen Auftrag betraut, einen Wandteppich anzufertigen, der nach langwieriger Herstellung im Jahr 1959 dem Amerikanischen Präsidenten Eisenhower als Geschenk zur Feier des Staatsvertrages überreicht wurde.[48]
Nach zehnjähriger Besatzungszeit war jenes Ziel erreicht, das Marboe und Brunngraber drei Jahre zuvor in ihrem Drehbuch, aufgrund der realpolitisch schwierigen Umstände, noch in die ferne Zukunft verschoben. Die Wirklichkeit war schneller als die Fiktion und ein neues Gefühl der Freiheit und Autonomie machte sich in der österreichischen Gesellschaft breit. Für Pippal ergab sich durch die Kunst-am-Bau eine neue Einnahmequelle, die er, wie auch viele andere Künstler und Künstlerinnen seiner Zeit, aufgrund der wirtschaftlich unsicheren Lage bereitwillig annahm. Sein gemäßigter Stil und die Fähigkeit, den Modus je nach Aufgabe zu variieren, schafften die Voraussetzungen für eine ergiebige Zusammenarbeit mit dem öffentlichen Sektor. Die Stadt Wien und die Republik versuchten anstatt der Kirche und der Aristokratie ein modernes Mäzenatentum zu etablieren.[49] Besonders nach dem Krieg, als der private Kunstmarkt so gut wie nicht mehr existierte, erwies sich diese Nachfolge der Patronage als Überlebensstrategie für viele Künstler und Künstlerinnen. Zwischen 1949 und 1962 waren es an die 350 Kunstschaffende die Aufträge aus öffentlicher Hand erhielten. Das war immerhin je nach Definition zwischen einem Viertel und zwei Drittel aller Künstler und Künstlerinnen.[50] Hans Robert Pippal gehörte zu dem engen Kreis von sieben Künstlern, die mehr als 15 Aufträge erhielten. Somit ließ er Namhafte Akteure wie Hrdlicka, Hausner oder auch Wotruba hinter sich.[51]
Der Auftrag zur Ausstattung der Wohnhausanlage (Karl-Panek-Hof) an der Ecke Neuwaldegger Straße/Höhen Straße mit Mosaike erfolgte unter Vermittlung des Architekten Josef Horacek, der für die Planung verantwortlich war. Die Bauten sind in der Erscheinung für ihre Zeit typisch. Der Komplex besteht aus insgesamt 14 Gebäudeeinheiten, die in einer losen aber regelmäßigen Staffelung zueinander in Beziehung stehen. (Abb. 7)
Irene Nierhaus, die sich wohl am profundesten mit der Thematik der Kunst-am-Bau im Wien der 1950er-Jahre auseinandersetzte, ging in ihrer umfassenden Abhandlung unter anderem auch der Frage nach, wie sich die im Zuge des Wiederaufbaus entstandenen Wohnbauten wissenschaftlich einordnen lassen. Auch wenn der Wohnungsbau für lange Zeit als architekturhistorisch irrelevant abgetan wurde, so kann laut Nierhaus doch behauptet werden, dass nicht „irgendwas“ hingebaut wurde.[52] Entgegen der österreichisch-nationalen Identitätsgeschichte gibt es nämlich bei den in großer Zahl entstandenen neuen Gebäuden eine historische Kontinuität. Überwiegten in den 1920er-Jahren noch expressive bis romantische Bauformulierungen mit einem stark ornamentalisierten Baudekor, kam es kurz darauf in Folge modernistischer Tendenzen zu einer „Entleerung“ der Fassaden. „Die Mehrheit der späteren Bauten der Ersten Republik wurden reduktionistisch versachlicht, ohne den Schritt hin zu einem tatsächlich sachlich-funktionalem Bauen zu machen. […] Es überwiegt der Eindruck des Neben- und Übereinanders.“[53] Die ersten Bauten nach dem Zweiten Weltkrieg entsprechen in ihrer Nüchternheit und massigen Behäbigkeit jenen der 1930er und 1940er. Architektonische Konventionen fanden nicht zuletzt aufgrund der Tatsache ihre Fortsetzung, dass nach Kriegsende die gleiche Architektenschaft wie in den Jahrzehnten zuvor herangezogen wurde.[54]
Ab 1952/53 setzte ein Auflösungsprozess der geschlossenen hin zur offenen Wohnanlage ein.[55] (Abb. 8) Die Bauelemente wurden nun weitgehend industriell gefertigt. Quantität und Massenproduktion waren Kriterien, die die Stadt Wien als Symbol des Wiederaufbaus durchaus positiv hervorhob. Wurden die Wohnbauten der 1920er-Jahre noch als „Rote Festungen“ mit komplexem soziokulturellem Anspruch konzipiert, bevorzugte die sozialistische Partei der Zweiten Republik einen versöhnlichen, zurückgenommenen Stil. Historisch verwurzelten Ressentiments zwischen den einst verfeindeten politischen Lagern (sozialdemokratisch und christlich-sozial) bot man somit keine neue Angriffsfläche.[56]Gebäude demokratischer Gleichförmigkeit dominierten ab nun das neu geschaffene Stadtbild. Die positiven Determinanten der Moderne wie etwa der Glaube an Fortschritt und die Selbstverwirklichung durch materiellen Wohlstand prallten in der Architektur allerdings auf die fehlende Implikation des Menschlichen. Wie weiter oben im Fall Harald Naegelis (Sprayer von Zürich) bereits thematisiert, erkannte auch die österreichische Politik der 1950er-Jahre im inhumanen Städtebau Unzulänglichkeiten. Sie suchte nach Wegen, den Eindruck des allzu radikal erscheinenden ökonomischen Funktionalismus zu maskieren. Architektonische Details wie etwa Simse, Profile, Haustore, etc. wurden emblematisch eingesetzt, um eine konservative, vernünftige und vor allem gemäßigte Moderne zu signalisieren. Dem Bewohner bot man durch die Individualisierung der Gebäude ein Identifikationsangebot. Zwar wurde der moderne Rationalismus in der Architektur mit Attributen wie hell, freundlich, hygienisch, usw. mit positiven Konnotationen versehen, das Zweckmäßige sollte sich allerdings mit dem Emotionalen vereinen. Dort wo sich die Möglichkeiten der Architektur erschöpften, setzte die Kunst-am-Bau an.
Tiere
Im Falle des Karl-Panek-Hofes stattete Hans Robert Pippal die Gebäude entlang der Höhen Straße mit jeweils einem Mosaik aus.[57] Es sind Tierdarstellungen, die wohl als Bezug zur umliegenden Natur (Wienerwald) verstanden werden sollen. Am Gebäude Nr. 1 befinden sich Fische (Abb. 9). Weiters kommen Vögel, Pferde und Stiere vor. Ohne Zweifel tragen die Mosaike zur Individualisierung der allzu gleichförmig und nüchtern erscheinenden Gebäudeeinheiten bei. Die Darstellungen sind aufgrund ihrer erhöhten Anbringung auf Weitsicht ausgelegt. Von der Entfernung betrachtet offenbaren sich allerdings auch die Probleme am deutlichsten. (Abb. 10) Die kritisch gemeinte Bezeichnung „Briefmarkenkunst“[58] ist für dieses Phänomen treffend gewählt und beweist die Tatsache, dass es in der Planung praktisch nie zu einer Kooperation zwischen Architekten und Künstlern kam. Die Ausstattung mit Wandgemälden war immer ein nachträgliches Arrangement.[59] Der fehlende Kontext zwischen Architektur und Kunst-am-Bau wurde und wird auch heute noch in allen Kritiken zu einem Hauptproblem erhoben. Es kommt zu keiner Synthese zwischen Objekt und Gebäude als Bildträger. Obwohl die Wand in ihrer Präsenz eine dominante Rolle einnimmt, entfaltet sie kein ästhetisches Potential. Auch wenn die Mosaike nicht gerahmt sind, so wirken sie in ihrer Anlage dennoch als geschlossene Einheiten. Irene Nierhaus sieht dieses Phänomen in einem architekturhistorischen Kontext, wenn sie meint, dass die in den 1920er-Jahren einsetzende Industrialisierung des Bauwesens zu einer „Dissoziation“ von Bild und Bau führte. Die bildende Kunst sei nämlich entgegen der Architektur handwerklich geblieben.[60] Diese Feststellung ist insofern wichtig, als sich in den meisten Fällen die Kunst-am-Bau im Verständnis eines Kunsthandwerks am ehesten erschließen lässt.
Das Mosaik
Die Ausführung von Arbeiten in der Mosaik-Technik war für viele bildende Künstler und Künstlerinnen handwerkliches Neuland. Binnen der kurzen Zeit eines Auftrages mussten sie sich die schwierige Arbeitsweise, die einem das traditionsreiche künstlerische Medium abverlangte aneignen. Lucia Keller, eine der Künstlerinnen, die durch das Programm der Stadt Wien Aufträge erhielt, beschrieb diese Zeit kurz nach dem Krieg: „Wir haben das alle wegen des Geldes gemacht. Keiner von uns hat welches gehabt. So richtig austoben konnte man sich allerdings künstlerisch nicht. Die Motive mussten sehr einfach sein.“[61] Das Material wurde von ihr als Hemmnis empfunden: „Glasquadratln. Damit zu arbeiten ist wahnsinnig schwer. Für die Gemeinde war es das Billigste. In der Farbigkeit waren wir damit allerdings stark eingeschränkt. Der Entwurf musste einfach und an das schwierige Material angepasst sein.“[62] Die besonderen Eigenheiten des Materials zwangen die Künstler und Künstlerinnen zu einer Abänderung ihrer herkömmlichen Ausdrucksweise. Das Legen von Mosaiken entpuppte sich als Schwerarbeit und wurde meistens in Zusammenarbeit mit den Glas- und Mosaikwerkstätten Ignaz Dürr oder der Wienerberger Ziegelwerke an den Hauswänden angebracht.[63]
In etwa zeitgleich mit dem Beginn der Serie an öffentlichen Aufträgen, also im Jahr 1955, bezog Hans Robert Pippal gemeinsam mit seiner Frau ein neues Wohnatelier in der Alser Straße. Das geräumige und helle Dachgeschoß verbesserte die bisherigen Arbeitsbedingungen wesentlich und erlaubte Pippal entgegen vieler anderer Künstler und Künstlerinnen auch größere Aufträge der Gemeinde Wien zuhause auszuführen.[64] Die Grenzen zwischen Wohn- und Arbeitsbereich waren fließend. Das Legen der Mosaike erforderte die Mithilfe der Familie. Die 1957 geborene Tochter des Malers, Martina Pippal, wurde in diesen von ihr beschriebenen „Zirkus“[65] hineingeboren und verband damit ihre frühesten Kindheitserinnerungen. Ihre aus Sibirien stammende Oma mütterlicherseits kümmerte sich mittags um das Essen, während sie nachmittags in einer dem Atelier angeschlossenen Werkstatt die quadratischen Glasplättchen auf Halb- und Viertelformate zerhackte.[66] Die Eltern legten indessen im sauberen und hellen Atelierraum die nach Farben sortierten Mosaiksteine dem Entwurf entsprechend, aber spiegelverkehrt, auf Packpapierbögen. Mittels Kleister, den wiederum die Oma herstellte, wurden die Plättchen schließlich fixiert. Die Oberseite, also jene Seite, die dann die wahre Erscheinung des Mosaiks ausmachte, blieb während des gesamten Legeprozesses im Verborgenen. Erst nachdem die sorgfältig aneinander gelegten Steine in den Putz übertragen wurden und das Papier abgewaschen war, kam das unumkehrbare Ergebnis zum Vorschein. Wie sehr sich Künstler und Künstlerinnen dazu gezwungen sahen, den Modus an die Technik anzupassen beschrieb Lucia Kellner: „Ich habe immer eine Hochachtung vor den alten Mosaiken. Und ich hab mir gedacht: Ich mache Autos mit Propellern. Da kann man die individuellen Unsicherheiten kaschieren. Weil da gehört einfach eine lange, lange Schule dazu, um wirklich gut legen zu können, dass es auch plastisch wirkt. Man zeichnete so einfach wie möglich, weil man es ja auch legen musste.“[67]
Worin viele ein Problem sahen, war für Hans Robert Pippal eine Herausforderung. Die von Gütersloh beschriebene Gabe eines Naturtalents kam dem Autodidakten zugute. Durch das Einsetzen vieler sich in Größe und Form unterscheidender Steine und mittels bewusst feiner Nuancierung der Farben versuchte Hans Robert Pippal dem an sich starr wirkenden Medium Mosaik Lebendigkeit zu verleihen. (Abb. 11) Entgegen anderer namhafter Künstler und Künstlerinnen, die sich in der Kunst-am-Bau versuchten, sah Pippal im perspektivischen Wechsel von der Kunstwelt, sprich der „Weißen Zelle“, zur Lebenspraxis, sprich dem öffentlichen Raum, kein Problem. Dies beweisen seine vielen Arbeiten im Bereich der angewandten Kunst (Stoffmuster, Bucheinbände, Werbeplakate, uvm.). Die Hingabe zu gestalterischen Problemstellungen, egal welcher Art, führten auch dazu, dass ihn die Aufträge aus öffentlicher Hand nicht mehr loslassen sollten. Der Preis für diese sichere Einnahmequelle war die Zeit, die er für die Ausführung der Arbeiten opfern musste. Sein persönliches Experiment im Umgang mit malerischen Mittel, was die eigentliche Passion war, musste er hinten anstellen.[68]
Die Kunst-am-Bau und ihre Funktion
Zu Beginn der Kunst-am-Bau stand eine semantische Funktion mit klaren Inhaltlichen Aussagen. Entgegen der wirtschaftlich und politisch schwierigen Zeiten sollten die Bilder an den Wänden der neu geschaffenen Wohnhäuser eine heile, positive Welt suggerieren. In ihrer politischen Intention können sie als Teil einer umfassenden Werbekampagne der Zweiten Republik zugeordnet werden. Waren der Film „1. April 2000“ und das Österreich-Buch in erster Linie als positive Signale für die Alliierten Mächte in Hinblick auf ein Ende der Besatzung angedacht, so sollte das Kunst-am-Bau-Programm vor allem die Bevölkerung im eigenen Land optimistisch stimmen. Zwischen öffentlichem und privatem Leben angesiedelt kennzeichnen die meist figurativen Werke dieser frühen Jahre eine Verschränkung beider Bereiche. Sie appellierten an die Herzen und das Gemeinschaftsgefühl der Bewohner.[69] Das Leben in den eigenen vier Wänden fand über die Grenzen des Wohnraumes in der Öffentlichkeit einer kollektiven Gemeinschaft seinen Widerhall. An sich private Themen wie Familie, soziale Kontakte, Freizeit, etc. wurden zur res publica stilisiert. In didaktischer Manier veranschaulichen die Wandbilder den Versuch seitens der Politik als steuerndes Organ auf die persönlichen Befindlichkeiten der Bevölkerung einzuwirken.
Kurz nach der Fertigstellung der Tiermosaike an der Höhenstraße, erhielt Pippal im Jahr 1957 den Auftrag, ein Wohnhaus am Flötzersteig in der Nähe des Otto Wagner Spittals mit Mosaiken auszustatten. (Abb. 12) Das Werk erhielt den Titel „Frauenberufe“ und stand wohl noch in der Tradition dieser frühen Arbeiten. Es sind insgesamt sechs Frauenfiguren, die bei unterschiedlichen häuslichen Tätigkeiten wie etwa bügeln, nähen, kochen und stricken dargestellt sind. Jede Figur ist hierbei ein einzelnes Mosaik, das entgegen der Tierdarstellungen nicht rechteckig ist, sondern sich im Umriss an die Konturen der Frauenfiguren und ihrer Tätigkeiten anpasst. Die Beziehung zum Gebäude als Bildträger wirkt somit aufgelockert. Vier Darstellungen befinden sich auf der Stirnseite des Gebäudes. Die anderen beiden sind einerseits links und andererseits rechts um die Fassadenkante herum angebracht. Kann die Partnerschaft zwischen Hans Robert Pippal und seiner Frau, die immerhin studierte Architektin war, im Sinne der Gleichberechtigung als fortschrittliche angesehen werden, so vermittelt die Darstellung der Frauenberufe ein konservatives Gesellschaftsbild, das den Wertvorstellungen der 1950er-Jahren entspricht. Ob der Vogel im Käfig, der sich als zusätzliches Mosaik zwischen den Frauenfiguren auf der Stirnseite befindet, als kritischer Seitenhieb in Form einer Allegorie verstanden werden soll, sei dahingestellt.
Wie alle westlichen Länder zu dieser Zeit, so erfuhr auch Österreich in den 1950er-Jahren einen Wirtschaftsaufschwung, der sich bald in einem deutlichen Anstieg des allgemeinen Wohlstands bemerkbar machte.[70] Das Leben wurde komfortabler und die Bevölkerung zog sich zunehmend von der öffentlichen Bühne ins private Leben zurück. Die in der Kunst-am-Bau anfänglich dominierende Position des Inhalts verlagerte sich allmählich auf beliebigere Themen. Konkret greifbare Botschaften wichen einem weniger stark ausgeprägten Mitteilungsbedürfnis. Sah die Politik durch die Vergabe von öffentlichen Aufträgen die Möglichkeit, die Künstler- und Künstlerinnen in die Wiederaufbaugesellschaft verbunden mit ihrem Selbstverständnis des „gemeinsamen Anpackens“ als formende Kräfte zu integrieren,[71] so verstärkte sich in der Zeit kurz nach dem Staatsvertrag die Debatte um die Freiheit und Autonomie der Kunst. Diese Entwicklung offenbart sich in einem Sinneswandel der Stadt Wien, die neben ihrem Selbstverständnis als Mäzen und dem Bedürfnis nach einer Vermenschlichung der nüchternen Wohnbauarchitektur als weitern Punkt in ihrem Kunst-am-Bau-Programm den Aspekt hervorhob, Kunst vom elitären Galerie- und Museumsraum in den öffentlichen Bereich, sprich zum Volk zu bringen.[72]Der semantischen Funktion von Kunst-am-Bau wurde spätestens ab den frühen 1960er-Jahren nichts mehr abgewonnen. Obwohl Pippal mit einem Mosaik am „Renzhof“ (Abb. 13) aus dem Jahr 1960 noch dem figürlich-narrativen verhaftet war, übte er sich zur gleichen Zeit auch in der abstrakten Archigrafik[73]. (Abb. 14) Eine Ausgabe des Magazins „Die Stadt als Mäzen“ von 1962 beschreibt diese neue Auffassung: „Die Kunst in den Diktaturen ist Instrument, primär an ihr ist das Thema, sie muss literarisch sein und Tendenzen zur Rechtfertigung eines Programms aufweisen. Die westliche Demokratie nimmt eine tolerante Haltung ein: die Möglichkeit der „autonomen“ künstlerischen Aussage spiegelt geradezu die Haltung dieser Staatsform“[74]. Die neue Haltung führte allerdings dazu, dass die propagierte „Freiheit der Kunst“ mit „nonfigurativ“ gleichgesetzt wurde. Es kam zu einer Umkehrung der Dogmen: „Was damals in den 1950er-Jahren nicht abstrakt sein durfte, musste es in den 1960er-Jahren sein.“[75] Gerade in der Archigrafik eröffnet sich allerdings ein ästhetisches Potential, das sich in seiner Wirkung von den figurativen Arbeiten qualitativ abhebt. Die ornamentale Ausstattung von Hausdurchgängen in der Pappenheimgasse/Jägerstraße vom Jahr 1966 führt dies vor Augen. In den Entwürfen stellt Hans Robert Pippal verschiedene abstrakte Variationen nebeneinander. (Abb.15) In der Mitte des Plans befindet sich eine Probe jener Mosaiksteine, die für die Ausführung der Arbeiten vorgesehen waren. An der Fassade angebracht, legen sich die Mosaike wie eine Textur über den Baukörper und wirken als ästhetische Kraftfelder in den urbanen Raum. (Abb. 16) Aufgrund der eher geringen Größe können sie noch als inkonsequenter Versuch dessen angesehen werden, was Peter Kogler heute auf ganze Fassaden und Innenräume anwendet. (Abb. 17)
Was bleibt
Elisabeth Voggeneder beschrieb Hans Robert Pippal als einen Künstler, der zwischen Innovation und Tradition zu verorten ist.[76] Als Kind seiner Zeit bediente er sich zwar des modernistischen Formenrepertoires, gleichzeitig war sein Blick aber auch ein rückwärts gewandter. Neue Malerei sah Pippal in Relation zu früheren kunsthistorischen Epochen. Für ihn führte das Moderne mit dem Althergebrachten eine gleichberechtigte Koexistenz. Wie Gütersloh richtig feststellte, war er sämtlichen Radikalismen abgeneigt. Der Wiener Aktionismus in etwa, dessen Protagonisten schon einer jüngeren Generation angehörten, verschloss sich seinem Verständnis.[77] Auf der anderen Seite ist es bemerkenswert, dass sich trotz seiner gemäßigten Haltung gewisse Schnittstellen zu avantgardistischen Überlegungen ausmachen lassen. Pippal entsprach in seiner Kunstauffassung jener, die sich Marcel Duchamp angesichts der dogmatischen Auslegung des Kubismus herbeisehnte: “I don’t believe in the creative function of the artist“, meinte er einst in einem Interview. „He’s a man like any other. It’s his job to do certain things, but the businessman does certain things also, you understand? On the other hand the word “art” interests me very much. If it comes from the Sanskrit, as I’ve heard, it signifies “making”. Now everyone makes something, and those who make things on a canvas, with a frame, they’re called artists. Formerly, they were called craftsmen, a term I prefer. We’re all craftsmen in civilian or military life.”[78] Entgegen der vom Bürgertum getragenen Autonomiebestrebungen forderte Duchamp einen trivialeren Zugang zur Kunst im Sinne eines Handwerks. Pippal entsprach – wenn auch unter anderen Voraussetzungen und ohne bewusstes Zutun – dieser Vorstellung. In der Rolle eines Kunsthandwerkers war er bei der Kunst-am-Bau bestrebt, den Ideen seiner Auftraggeber visuellen Ausdruck zu verleihen und ordnete sich somit in eine Tradition von Künstlern ein, die in früheren Jahrhunderten dem Mäzenatentum von Monarchen und Kirche unterstellt waren. Dass er in seinen späteren Jahren auch Arbeiten für den sakralen Bereich ausführte, unterstreicht diese Tendenz.
Als weitere Schnittstelle mit der Avantgarde entpuppt sich die Bestrebung nach einer Vereinigung der Bereiche Kunst und Alltag. Von den Dadaisten, über die Situationisten bis hin zu späteren Akteuren wie Josef Beuys zieht sich diese Intention wie ein roter Faden durch die Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts. Es war das Bedürfnis, sich dem Museum und der Galerie in ihrer Funktion als normative Institution zu entziehen. Der Kunsttheoretiker Boris Groys gliedert dieses System in zwei Bereiche: das kulturelle Archiv und den profanen Raum. Zwischen den beiden Bereichen existiert eine Wechselbeziehung, die als Prozess des Tauschs zu verstehen ist. In diesem Tausch wurzeln eigentlich die Innovation und die Hervorbringung des Neuen.[79] Die zwei Systeme Ergänzen sich und die Grenzen sind durchlässig. Bestimmte Dinge des profanen Raumes werden aufgewertet und ins kulturelle Archiv aufgenommen, andere Dinge wiederum erfahren eine Abwertung und gelangen in den profanen Raum und werden zu Trivialkultur.[80] Die Überführung der Kunst in eine Lebenspraxis war die große Sehnsucht der Avantgarde – eine Sehnsucht, die nach Meinung von Boris Groys und auch anderen Theoretikern, wie etwa Peter Bürger, nicht zu verwirklichen ist, weil die Kunst ein Ergebnis gerade dieses Austauschs zwischen Archiv und Alltag ist. Wobei hier noch anzufügen ist, dass sich die Avantgarde selbst dieser Tatsache durchaus bewusst war. Wenn die Dadaisten oder die Situationisten, ohne darauf genauer einzugehen, von der Verschmelzung beider Bereich sprachen, dann war dies immer gleichbedeutend mit einer Abschaffung der Kunst: zumindest in dem Sinn, wie unsere vom Ideengut der Moderne geprägten Gesellschaft sie versteht.
Hierin liegt wahrscheinlich das fundamentale Problem der Kunst-am-Bau und auch die Wurzel der Kritik. Die Werke wollen dort Kunst sein, wo sie zumindest im modernistischen Verständnis nicht Kunst sein können. Der Versuch seitens der Stadt Wien der Bevölkerung die Kunst frei Haus zu liefern, um dadurch, didaktisch motiviert, ihren Sinn für Ästhetik zu sensibilisieren kann demnach zu recht in Frage gestellt werden.
Was bleibt ist allerdings die Tatsache, dass den grauen Theorien und der nüchternen Architektur die bunte Vielfalt der Kunst-am-Bau gegenübersteht. Abseits künstlerischer Wertvorstellungen zeugen die Mosaike vom politischen Willen zur Zusammenführung gesellschaftlicher Klassen. Das vom Bürgertum getragene kulturelle Archiv sollte in den profanen Raum unterer Bevölkerungsschichten nicht zuletzt als Zeichen der Wertschätzung einwirken. In der Nachkriegszeit, als die materielle Knappheit von Gütern das alltägliche Leben beherrschte, rückte der Mensch in den Mittelpunkt politischer Interessen. Kunst-am-Bau verlieh diesem Zeitgeist visuellen Ausdruck. Hans Robert Pippal war Mitwirkender dieses Versuchs einer Vermenschlichung der Umwelt. Heute, in Zeiten des Wohlstands ist die einstige Zweckgebundenheit verloren gegangen. Die nunmehr funktionslosen Objekte sind gleichsam Denkmäler, die in ihrer stillen Präsenz an diese vergangene Ära erinnern.
Der Text entstand 2012 als Online-Publikation in Zusammenarbeit mit Univ.-Prof. Dr. Martina Pippal (Institut für Kunstgeschichte, Universität Wien)
[1] O’Doherty 1996
[2] Ebd., S. 8
[3] Ebd., S. 8
[4] Ebd., S. 15
[5] Daniels 1992, S. 36
[6] Fleck 1995, S. 19
[7] Ebd., S. 20
[8] Ebd., S. 20
[9] Ebd., S. 20
[10] Pippal 2003, S. 21
[11] Ebd., S. 21
[12] Gütersloh 1954, S. 69
[13] Gütersloh 1954, S. 69
[14] Gerwald Rockenschaub, zit.n.: Wailand 1998, S. 16
[15] Peter Weibel zit.n.: Wailand 1998, S. 17
[16] Peter Marboe zit.n.: Ebd., S. 16
[17] Sybille Moser zit.n.: Ebd., S. 14
[18] o.A. Skulptur: Olaf Metzel „Turkish Delight“, Pressetext Kunsthalle, Wien o.D., URL: http://www.kunsthallewien.at/cgi-bin/event/event.pl?id=2509&lang=de (6. 2. 2012), o.S.
[19] Ebd., o.S.
[20] Baudrillard 1978, S. 24
[21] Müller 1984, S. 93
[22] Ebd., S. 95
[23] Müller 1984, S. 7
[24] Nierhaus 1993, S. 180
[25] Vgl.: Ebd., S. 180
[26] Ebd., S. 180
[27] Arbeiterzeitung vom 26. 3. 1958, zit.n.: Ebd., S. 181
[28] Vgl.: Bruckmüller 2006, S. 7
[29] Vgl.: Wikipedia, Leopold Figl, URL: http://de.wikipedia.org/wiki/Leopold_Figl (3. 2. 2012)
[30] Heiss 2006, S. 103
[31] Protokollbeilage der Sitzung des Minister- und Beamtenkomitees am 6.1.1949, zit.n.: Ebd., S. 105
[32] Protokollbeilage der Sitzung des Minister- und Beamtenkomitees am 6.1.1949, zit.n.: Ebd., S. 105
[33] Heiss 2006, S. 102
[34] Protokoll der 2. Sitzung der Jury am 3.3. 1949, zit.n.: Ebd., S. 106
[35] Ebd., S. 411-413
[36] Marboe 1948, S. 413-414
[37] Ebd., S. 540
[38] Pippal 2003, S. 21
[39] Pippal 2003, S. 22
[40] Ebd., S. 22
[41] Ebd., S. 22
[42] Ebd., S. 23-24
[43] Ebd., S. 24
[44] Vgl.: Marboe 1948, S. X
[45] Pippal 2003, S. 24
[46] Vgl. Ebd., S. 24
[47] Anm.: zwei Goldmosaike mit Vogelmotiven
[48] Pippal 2003, S. 28
[49] Nierhaus 1993, S. 27
[50] Ebd., S. 34
[51] Ebd., S. 34
[52] Nierhaus 1993, S. 40
[53] Ebd., S. 41
[54] Ebd., S. 45
[55] Ebd., S. 45-46
[56] Nierhaus 1993, S. 50
[57] Anm.: Gebäude 1,3,5,7,9,10
[58] Nierhaus 1993, S. 52
[59] Ebd., S. 51
[60] Ebd., S. 52
[61] Keller Lucia, zit.n.: Corazza 2009, S. 42-43
[62] Keller Lucia, zit.n.: Corazza 2009, S. 44
[63] Ebd., S. 47
[64] Anm.: Viele Künstler/Künstlerinnen wie zB Lucia Keller legten aufgrund von Platzmangel die Mosaike direkt in der Glasfirma Ignaz Dürr, Vgl.: Corazza 2009, S. 50
[65] Vgl. Pippal 2008
[66] Pippal 2003, S. 16-17
[67] Corazza 2009, S. 50-51
[68] Pippal 2003, S. 31
[69] Nierhaus 1993, S. 103
[70] Vocelka 2000, S. 331-332
[71] Nierhaus 1993, S. 28
[72] Ebd., S. 24
[73] Vgl.: Ebd., S. 85
[74] Mäzen IV 1962, Nr. 7, in: Ebd., S. 29
[75] Ebd., S. 29
[76] Vgl.: Voggeneder 2003, S. 56-67
[77] Pippal 2003, S. 46
[78] Duchamp, zit.n.: Judovitz 1995
[79] Liessmann 1999, S. 194
[80] Vgl.: Groys 1992, S. 119
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