Turf Mohican: Banksy und die Kunst des sanften Vandalismus

Im Jahr 2000 verpassten Guerilla-Gärtner der berühmten Winston-Churchill-Statue in London mittels länglichem Rasenstück einen punkigen Irokesen-Haarschnitt. Dank Steet-Art-Künstler Banksy ist der “Vandalismus” nun ein Stück Kunstgeschichte

Es war ein sonniger 1. Mai in London als sich am Parliament Square, neben dem Westminster Palace hunderte Menschen versammelten. Die frühlingshaften Temperaturen erheiterten die Gemüter. Untermalt von afrikanischen Trommeln unterhielten Straßenkünstler die Menge. Man tratschte, schlenderte umher, oder ließ sich in Grünflächen nieder. Beinahe wirkte die Szene wie ein Volksfest. Transparente, Aufnäher und Buttons verrieten aber den eigentlichen Grund des Zusammentreffens: “Capitalist Catastrophy” war zu lesen.

Wir schreiben das Jahr 2000 und die Menschen in London waren unzufrieden. Vieles auf dieser Welt schien nicht so zu laufen, wie es eigentlich sollte. Es ging den Demonstrierenden um eine gerechtere Verteilung von Vermögen, Umweltschutz und Chancengerechtigkeit. In der “Battle of Seattle” im Jahr zuvor, also 1999, wurden Proteste von Globalisierungsgegnern während einer Konferenz der Welthandelsorganisation (WTO) brutal niedergeschlagen. Im Jahr 2000 erschien Naomi Kleins Buch “No Logo”, das zu dieser Zeit als Grundlagenwerk in der kritischen Betrachtung der Global Palyers und ihrem Kampf um Marktmacht verstanden wurde.

Abb. 1: James Matthews/Avant-Gardeners. Turf Mohican. Foto: punkhaux.blogspot.com

“Guerilla-Gärtner” pflasterten nun an diesem 1. Mai im Jahr 2000 den Asphalt des Parliament Squares mit mitgebrachtem Rasen und legten Beete an. Unter ihnen befand sich auch der 25-jährige Student James Matthews, der aus einer spontanen Aktion heraus die berühmte Winston-Churchill-Statue erklomm und ein längliches Rasenstück so auf deren Kopf drapierte, dass es aussah, als würde das Andenken des frühere Premiers einen punkigen Irokesenhaarschnitt tragen (Abb. 1). Die Verunstaltung zog eine Anzeige für Matthews nach sich, der vor Gericht zu dreißig Tage Gefängnis und einer Geldstrafe von 250 Pfund verurteilt wurde.* Die britische Lokalpresse berichteten davon.

Gelungenes Kunstwerk

Wahrscheinlich wäre der Fall längst vergessen, hätte nicht wenige Jahre später der berühmte Street-Art-Künstler Banksy mit einem Schablonen-Graffiti Bezug auf den sogenannten „Turf Mohican“ genommen. (Abb. 2)

Abb. 2: Banksy. Turf Mohican. 2003 – Foto: heart.co.uk

Für Banksy war die Aktion nichts anderes als ein gelungenes Kunstwerk. (Vgl. Art Kunstmagazin*) Die Churchill-Statue kann als ästhetisches Fertigteil, als Ready-made, verstanden werden, das durch hinzufügen des Rasenstücks einer Verfremdung, einem „détournement“, unterzogen wurde. Die stolze Erscheinung der Statue ist, ähnlich wie Duchamps Variation der Mona Lisa mit Schnurrbart, dem Licht der Lächerlichkeit preisgegeben und provozierte das Gemüt staatstreuer Briten und Britinnen. Formal entspricht das Werk also tatsächlich jenen Kriterien, die auch avantgardistische Kunstwerke auszeichnen. Noch interessanter wird der Sachverhalt dann, wenn man den Aspekt des Ortes, an dem sich die kurzlebige plastische Intervention ereignete, mit in Betracht zieht:

Der Londoner Parliament Square ist ein öffentlicher, meist von unzähligen Touristen bevölkerter Platz, der sich vor dem mächtigen englischen Parlamentsgebäude ausbreitet. Es handelt sich also um einen Ort, an dem zunächst traditionelle bildhauerische Werke vorzufinden sind, die zum Zweck des Andenkens an alte Machtverhältnisse aufgestellt wurden. Der Ort ist allerdings kein ausgewiesener Bereich, an dem ohne Zustimmung der Verwaltungsbehörde ästhetische Eingriffe, in welcher Art auch immer, durchgeführt werden dürfen. Der unautorisierte Vorfall vom Mai 2000 verdeutlicht deshalb die institutionelle Grenzziehung, in der sich der Kulturbetrieb bewegt. Der Turf Mohican steht insofern, neben den bereits angesprochenen formalen Kriterien, klar in einer avantgardistischen Tradition, als es ein ästhetisches Konstrukt ist, das in seiner Präsenz eine Grenzüberschreitung versinnbildlicht, die gesellschaftlich nicht vorgesehen ist und auch nicht geduldet wird.

Das spontane Moment, in dem sich der Vorfall zutrug, kann im symbolischen Sinn als Manifestation dessen betrachtet werden, was sich etwa die Situationisten als die Überführung der Kunst in eine Lebenspraxis vorstellten. Ein Aspekt, der hierbei über das Wesen eines Ready-mades hinausgeht, ist die Tatsache, dass der Schöpfer des Kunstwerks selbst gar kein Künstler ist. War es beim Ready-made vor allem der vom Künstler initiierte reale Transfer eines Objektes in das Museum, was eine Defunktionalisierung, ein Abtöten, zur Folge hatte, aber im Gegenzug eine Legitimation, eine Aufwertung zum Kunstwerk erfuhr, so handelt es sich im Falle des Turf Mohicans um ein ästhetisches Objekt in situ, welches den realen Weg ins kulturelle Archiv niemals antrat. Selbst bei der Verhandlung berief sich Matthews, um einer Strafe zu entgehen, nicht auf die Freiheit der Kunst, sondern auf die Freiheit der Meinungsäußerung.

Wenn Banksy nun das Geschehene als gelungenen Akt des Vandalismus und mehr noch als Kunst bezeichnet, dann zieht er in erster Linie Parallelen zu seinem eigenen Schaffen, das er wiederum auch als Kunst betrachtet. Das heißt: Im Konkreten Fall wird nicht nur einem Objekt, sondern auch einer Handlung von außen der Kunstbegriff herangetragen. Darüber hinaus wird auch noch für eine Person der Anspruch erhoben, ein Künstler zu sein, die für sich selbst diese Bezeichnung nicht beansprucht hatte. War es bei Duchamp das Urinal, ein Gebrauchsgegenstand, der die Aufwertung zur Kunst erfuhr, so ist es bei Banksy auch der tatsächliche Schöpfer eines Objekts, der in den Status eines Künstlers befördert wird. Neben der Legitimierung seiner eigenen Arbeit, bringt er auf diese Weise den von ihm angestrebten Demokratisierungsprozess des Kunstbetriebs zum Ausdruck. Joseph Beuys Auffassung eines erweiterten Kunstbegriffs findet bei Banksy also seinen Widerhall. Anders als der situationistischen Avantgarde geht es auch Banksy nicht um eine Abschaffung der Kunst, sondern um die Grenzöffnung zwischen kulturellem Archiv und profanem Raum.

Das Museum ist für ihn, wie für alle Street-Art-Künstler, ein elitärer, vom Bürgertum erschaffener Elfenbeinturm, der einen Großteil der Bevölkerung ausschließt. Natürlich kann man als Gegenargument anführen, dass im Prinzip jeder und jede die Möglichkeit hat, die „heiligen Hallen“ der Kunst zu betreten. Praktisch existiert allerdings eine Hemmschwelle, die sich entlang gesellschaftlicher Klassenunterschiede bewegt. Pierre Bourdieu analysierte das Museumspublikum nach sozialer Herkunft, Bildungskompetenz und Geschmackspräferenz und bewies damit, dass die Demokratisierung der Kunst eine Heuchelei sei, weil zwar der physische Zugang zu den Museen frei ist, die Chancen auf einen geistigen Zugang zur Kunst jedoch ungleich verteilt sind. Das Museum ist somit ein Ort, wo soziale, kulturelle und ökonomische Unterschiede sichtbar gemacht werden.235 Wenn Banksy meint, dass Kunst auf der Straße passieren muss, dort, wo wirklich jeder und jede hinkommt, dann versieht er den Kunstbegriff untrennbar mit einem politischen Anspruch. Das Öffnen der Grenzen zwischen Museum und Alltag bedeutet in diesem Sinn nämlich auch das Aufheben der Grenzen zwischen gesellschaftlichen Klassen.


*Kito Nedo. Künstler auf der Flucht. in: Art. Das Kunstmagazin. Heft Nr. 4/April 2007

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